Ali ist Nomade und ein Held. Er navigiert zielsicher durch das Straßenlabyrinth von Marrakesch, genauso wie durch die unendliche Weite der marokkanischen Einöde. Er trägt bei waghalsigen Überholmanövern im Atlasgebirge stets ein Lächeln auf den Lippen. Und er zeigt eine Engelsgeduld, wenn seine Passagiere ihn vier Tage lang als Fahrer und Reiseführer fordern. Eine Wüstentour durch Marokko ist kein Honiglecken, für uns ist jeder der 1.500 Kilometer dieses Roadtrips ein Abenteuer gewesen. Eines, das jeder wagen sollte, der dieses bezaubernde Land in allen Facetten kennenlernen möchte.
Abenteuer Roadtrip: von Marrakesch in die Wüste
Die endlose Monotonie der staubigen Straße, die sich durch die durstige Landschaft Marokkos windet, ist nur eine scheinbare. Wer Marrakesch in Richtung Wüste verlässt, das emsige Gewusel hinter sich lässt, hat eine echte Chance auf das authentische Marokko. Das nordafrikanische Land hat abseits der touristischen Zentren so viel zu bieten, dass ein viertägiger Roadtrip das Minimum für so eine Entdeckungsreise ist.
Von Marrakesch, das auf 460 Meter Seehöhe liegt, haben wir auf dem bis zu 2.260 Meter hohen Tizi-n-Tichka Pass in südöstlicher Richtung das Atlas-Gebirge durchquert. Nach einem Abstecher in das Weltkulturerbe von Ait Ben Haddou sind wir während unserer Wüstentour über Ourzazate in die Oase von Skoura gefahren, haben dort die Nacht an einem ganz speziellen Ort verbracht. Vorbei an der tiefen Schlucht des Toudra Gorge sind wir schließlich in der Wüste Erg Chebbi nahe Merzouga gelandet. Die Zelte des Desert Luxury Camp waren uns für zwei Nächte ein luftiges Zuhause, inmitten der Sahara-Sanddünen. Am vierten Tag war es ein zehn Stunden Husarenritt, mit dem Ali uns durch das fruchtbare Draa Tal und erneut über den Atlas zurück nach Marrakesch gefahren hat.

1001 Kurve durch den Atlas – über den Tizi-n-Tichka Pass
Schon vom Flugzeugfenster waren die kargen Gipfel des Atlas-Gebirges gut zu sehen. Eigentlich hätten sie im Jänner schneebedeckt sein sollen, um den sieben Skigebieten Marokkos ihren Betrieb zu ermöglichen. Fehlanzeige, aber wir waren ja nicht zum Ski-, sondern zum Autofahren gekommen.
Marrakesch lag genauso wie der private Golfplatz des Königs schon hinter uns. Dafür fuhren wir an den royalen, streng abgeschirmten Jagdgründen am Fuß der Berge vorbei, als ich über den marokkanischen Schnee nachdachte: „Wenn hier Schnee fällt, dann muss es ziemlich weit nach oben gehen.“ Genau genommen waren 1.800 Höhenmeter und fast eben so viele Kurven zu überwinden, um an den höchsten Punkt des Tichka Pass zu gelangen. Ein Wissen, dass Ali zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit uns geteilt hatte.
Da war mit meinem Magen aber auch noch alles in Ordnung und so konnte ich mich in Ruhe über den eingezäunten grünen Wald des Königs wundern, der einen ebenso starken Farbkontrast darstellte, wie vielleicht der nicht vorhandene Schnee auf den noch weit entfernten Gipfeln es getan hätten.
Wir stiegen höher, dafür wurden die solide gebauten Behausungen immer weniger. Sie wichen lehmverputzten Hütten, deren Farben das Aussehen der umliegenden Berge hatten. Ali nach den Bewohnern dieser Dörfer zu fragen, ergab sich wie von selbst:
„These are berber people. Former nomads who live a very hard life out here.“
Neben der Straße tauchten zunehmend Menschen auf, die auf ihren Rücken trockene Zweige, Wasserfässer oder Werkzeug trugen. In der Ferne immer wieder Ochsen, die Pflüge über grüne Felder zogen. Wer in Marrakesch mit seiner westlichen Denke erfolgreich ist, kommt hier an der afrikanischen Realität nicht mehr vorbei. Speziell wenn der Winter hart ist, geht es für die Menschen im Atlas-Gebirge um’s Überleben.
Je näher wir dem Gipfel kamen, umso schmaler wurde die Tizi-n-Tichka Passstraße und umso steiler die Abhänge. Die Stops an den Aussichtspunkten wurden mit Dauer der Fahrt häufiger. Nicht nur, weil die Aussicht an Schönheit kaum zu überbieten war. Es ging auch darum den Magen zu beruhigen, der sich immer öfter verwirrt meldete und darum bat, aus dem Karussel aussteigen zu dürfen.
Als wir endlich den höchsten Punkt unserer Atlas-Überquerung erreichten, war es draußen empfindlich kühler als im Tal. Damit wurde auch die Geschichte mit dem Schnee plausibler. Von echter Wüste war auf dieser „Wüstentour“ zu diesem Zeitpunkt aber noch nichts zu sehen.
Runter geht’s bekanntlich leichter als hinauf. In Richtung Ourzazate wurden die Serpentinen deutlich seltener – und weniger halsbrecherisch. Vorbei an Checkpoints, die die marokkanische Polizei für Routinekontrollen nutzt, ging es dem Weltkulturerbe Ait Ben Haddou entgegen.
Ait Ben Haddou – das Weltkulturerbe in der Wüste
„We take a short detour. Offroad.“
Zwischen dieser Aussage und dem Verlassen der Straße passte kein Gegenargument. Ali riss das Steuer nach links, der Allrad-Toyota folgte und schon rumpelten wir über den staubigen Untergrund. Hinweisschild war da keines, aber unser marokkanischer Fahrer hatte schon kurz vorher angekündigt, dass es nicht mehr weit war zu unserem Zwischenziel: Ait Ben Haddou. Und Wüste hatten wir ab dem Zeitpunkt auch mehr als genug.
Es sind nur die besonderen Orte, die von der UNESCO Weltkulturerbestatus verliehen bekommen – und dieser ist einer davon.
Ait Ben Haddou ist ein Ksar. Und dafür braucht es mindestens sechs Kasbahs (=Wohnhäuser). Übersetzt bedeutet Ksar Burg, in diesem Fall steht der Begriff aber eher für eine befestigte Stadt. Über Jahrhunderte hinweg kam Ksar Ait Ben Haddou aufgrund der Lage entlang der Route Marrakesch – Timbuktu eine besondere Bedeutung für die Karawanen zu. Heute sind die langsam verfallenden Lehmbauten Drehort für zahlreiche Filmproduktionen wie Gladiator, Game of Thrones oder Prince of Persia.


Ali tauschte während unseres Aufenthalts in Ait Ben Haddou seine Rolle von Fahrer auf Fremdenführer und erklärte die Bedeutung des Namens der Befestigung.
„Ben Haddou is the name of the Jewish founder of this place. ‚Ait‘ means tribe. So this was the place where the people of Ben Haddou lived.“
Wer durch die engen Gassen auf den Hügel wandert stellt zwei Dinge fest:
- Das alte verfallene Ait Ben Haddou wird bis zum heutigen Tag von Berbern bewohnt.
- Der 360 Grad Ausblick von der Bergspitze zeigt die überlegene Lage für die Verteidigung der Anlage und bietet ein wunderschönes Panorama auf das vom Fluss Asif Mellah und von Dattelpalmen geprägte Tal und die umliegende Wüstenlandschaft.
Vom Sand geküsst – Übernachtung im Hotel Ksar El Kabbaba
Als die Sonne sich anschickte, hinter dem Horizont zu verschwinden, erreichten wir nach einer weiteren Roadtrip-Etappe von Ait Ben Haddou über Ourzazate die Oase Skoura. Dort wartete unser Nachtquartier, das Hotel Ksar El Kabbaba.
Manchmal, wenn man mit geringen Erwartungen – und in diesem Fall ziemlich müde von der langen Fahrt – ein Ziel erreicht, bekommt man vom Schicksal eine ordentliche Packung Reiseglück präsentiert. Das Ksar El Kabbaba ist nicht einfach nur ein Hotel – mitten im sandreichen Nirgendwo erfüllte dieser Ort Wünsche, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass wir sie hatten.
Architektonisch ist das Hotel den alten Kasbahs nachempfunden und im Adobe-Stil mit Lehm und Stroh verputzt. Innen reich mit landestypischen Mosaiken verziert, schwirren immerzu Kellner, Musiker und Gepäckträger durch die Räumlichkeiten. Im weit verzweigten Garten wachsen aromatische Kräuter, duftende Rosen, Gemüse, Mandelbäume und Dattelpalmen. Soweit möglich, verwendet das hauseigene Bio-Restaurant sämtliche Zutaten für die Küche aus diesem Garten.






Während unser Gepäck still und heimlich in dem uns zugedachten Zimmer verschwand, nahmen wir nach der Begrüßung auf weichen Kissen Platz und genossen den so traditionellen Minztee. Im Restaurant wurde kurz darauf feinstes Abendessen (natürlich in der Tajine – wie könnte es anders sein) serviert, bis wir uns spätabends erschöpft aber glücklich ins federweiche Himmelbett fallen ließen.
Wüstentour: Todra Gorge, Fossilien und die unendliche Weite
Der zweite Tag unserer Wüstentour war erneut von viel Zeit im Wagen geprägt. Auch, weil Ali noch zwei Zwischenstops für uns eingeplant hatte: Todra Gorge und eine Fossilienschleiferei.
Vorbei an der Stadt Tinghir ging es in die Schlucht Todra Gorge. Links und rechts türmen sich dort 300 Meter hoch die sandfarbenen Kalksteinfelsen des Lower Atlas auf. Die Sonne findet kaum ihren Weg in das tiefe Tal, das gerade genug Platz für einen Fluss und eine Straße bietet. Die senkrechten Wände gelten als hervorragendes Kletterrevier. Davon abgesehen war Todra Gorge eine feine Abwechslung, aber kein Must-Have für einen Zwischenstopp.


Deutlich interessanter der Halt in einer Fossilienschleiferei. Im Ort Erfoud gelegen, das als Tor zur Sahara gilt, werden dort mit schwerem Gerät feine Fossilien aus dem rauen Atlas-Gestein geschliffen. Von Badewannen und Waschbecken, die vor allem für den Export produziert werden, bis hin zu kleinen Artefakten mit Trilobiten, Tintenfischen und Garnelen ist das Sortiment sichtlich auf westliche Touristen abgestimmt.
Ali hatte versucht, uns auf den Besuch vorzubereiten. Bedeutet: Wir haben einen Crashkurs in Sachen Verhandlungstaktik bekommen. Ohne ‚Bargaining‘ geht in Marokko gar nichts, es kratzt gar ein wenig an der Ehre des Verkäufers wenn die Touristen den genannten Preis einfach so hinnehmen.
„You bargain like a berber!“
Möglicherweise war dieser Crashkurs sogar erfolgreich. Die Verhandlungen im Fossilienshop haben doppelt so lange gedauert, wie die Führung davor. Der Verkäufer ist mehrmals seinen Chef fragen gegangen (der wahrscheinlich einfach nur ein Freund war). Er hat seine Rolle perfekt gespielt und war offensichtlich gerührt, als wir eingeschlagen haben. Ein Heidenspaß für beide – auch das ist Marokko.
Inmitten der Dünen der Erg Chebbi
Im Laufe des Tages hatte sich die staubtrockene Landschaft über hunderte Kilometer hinweg langsam aber stetig verändert. Waren bei der Abfahrt in Skoura noch hohe Berge zu sehen, rückten diese langsam an den Horizont und machten der weiten aber kargen Ebene Platz. Die rotbraune Geröllwüste wurde zuerst grau, dann braun-gelblich. Sandwehen deuteten darauf hin, dass es in die Sahara nicht mehr weit war. Immer wieder ließen wir Kamelherden auf der Suche nach Essbarem hinter uns.


Und kurz nach dem Fossilienhalt in Erfoud tauchten aus dem Nichts die Dünen der Erg Chebbi auf. Nahe dem Touristenstädtchen Merzouga gelegen wirken die windgeformten Sanddünen aus der Ferne zuerst wie gemalt. Bis sie dann immer näher rücken, sich vor dem Wagen meterhoch auftürmen.
Als Ali wieder einmal die Straße verließ, wussten wir, dass wir nicht mehr auf Asphalt zurückkehren würden. Wir machten kurz Halt um Luft aus den Reifen zu lassen und jagten dann durch die Dünen, dem Desert Luxury Camp entgegen.
Alis Lächeln, das wir bereits aus den Bergen und aus Ait Ben Haddou kannten war zurückgekehrt. Er war in seinem Element. Der Nomade aus der Wüste war angekommen.
Es folgten zwei zauberhafte Winternächte im Camp, über die du hier nachlesen kannst: Wüstentour durch Marokko: Im Camp der Erg Chebbi.
Die 10-stündige Rückreise am vierten und letzten Tag unserer Wüstentour führte uns über das fruchtbare Draa Tal zurück in die Berge des Atlas und schließlich wieder nach Marrakesch.
Ali – Nomade, Fahrer und Fremdenführer in einer Person hat uns einen tiefen Einblick in das echte Marokko verschafft. Das, und das er uns in so kurzer Zeit zum Freund geworden ist, macht ihn zu einem Held.
Vielen Dank an das Hotel Ksar el Kabbaba und das Desert Luxury Camp, die diese Reise unterstützt haben. Unsere Meinung bleibt – wie immer – unsere Meinung.